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Die Kaufmannsfamilie Fischer
in Neukalen

 

Ein Beitrag des ältesten lebenden Namensträgers

Prof. Dr. Joachim Fischer (2004)


I. Vorbemerkung

   Die Angaben zur Familiengeschichte beruhen auf schriftlichen Aufzeichnungen meines Vaters für seinen Enkel Martin Fischer aus dem Jahr 1962, meines in Hamburg verstorbenen Bruders Hartwig Fischer sowie den Angaben von Herrn Schimmel zum Verzeichnis der Einwohner in Neukalen von 1819, soweit diese Angaben verwertet werden konnten. Die Kirchenbücher habe ich nicht eingesehen.

 

II.

   Die Fischers sind eine alte Neukalener Familie 1). Im Einwohnerverzeichnis von Neukalen aus dem Jahre 1819 ist ein Johann Fischer erwähnt, ein auf der Wanderschaft befindlicher Schneidergeselle, als eines der sechs Kinder des Schusters und Ausschussbürgers Christian Jochim Fischer und Catharina Marie Fischer, geb. Zingelmann. Der Sohn des Schneidermeisters Johann Fischer und seiner Ehefrau Friederike Fischer geb. Schröder war der spätere Kaufmann Albert Friedrich Gustav Fischer, geb. am 27.11.1834 in Neukalen, der 1859 das Kaufmannsgeschäft A. G. Fischer in Neukalen, Am Markt / Lutherstraße, gründete, und zwar auf dem Grundstück seines Schwiegervaters, des Schmiedemeisters Salchow.

 

   1) In der Familienüberlieferung war man fest davon überzeugt, daß der im ältesten Stadtbuch von Neukalen 1414 genannte Ratmann Arnd Vischer ein Vorfahre war.

 

Schmiedemeister Johann Salchow, um 1870

 

Schmiedemeister Johann Salchow, um 1870

 

 

   Das Geschäft umfasste ein reiches Sortiment: Kolonialwaren, Weine, Spirituosen, Zigarren, Eisenwaren, Porzellan. Die Lieferanten hatten ihren Sitz in Rostock, Wismar, Lübeck, Hamburg, Parchim, Magdeburg, Stettin, Nordhausen und Offenbach 2). Albert Friedrich Gustav Fischer war sehr unternehmend und ein erfolgreicher Kaufmann. Die Zeit war für wagemutige Kaufleute günstig. Die Wirtschaft blühte auf, es gab Gewerbefreiheit. Die norddeutschen Staaten waren nach dem Preußisch-Österreichischen Krieg von 1866 im Norddeutschen Bund zusammengeschlossen und bildeten eine Wirtschaftseinheit.

 

2) 1868 ... 1874 gab es folgende Lieferanten: Carl Josephi in Rostock, C. F. Matthies in Rostock, H. Gotow & Co. In Hamburg, J. H. L. Hoffmann in Parchim, Soencker & Leidloff in Magdeburg, Engell & Co, in Wismar, Gebr. Bernard in Offenbach, C. F. Regenstein in Rostock, Saniter & Weber in Rostock, Reichardt & Tübner in Magdeburg, G. H. Hannewacker in Nordhausen, Wendt & Babst in Rostock, E. A. Wriedt in Ottensen bei Altona, Wilhelm Scheel in Rostock, Paul Julius Stahlberg in Stettin, George Praetorius in Berlin, Grimm & Triepel in Nordhausen, Lud. Renten in Rostock, Anton Mindt in Hamburg, C. A. Kneiff in Nordhausen, Jac. Ludw. Bruhns & Sohn in Lübeck, J. D. Capell in Rostock, Bartsch & Schultze in Magdeburg 

 

Kaufmann Albert Friedrich Gustav Fischer, geb. 1834, gest, 1893

 

Kaufmann Albert Friedrich Gustav Fischer,
geb. 1834, gest. 1893

 

 

   Albert Friedrich Gustav Fischer hatte vier Töchter und einen Sohn Albert Franz Johann Fischer. Eine Tochter starb im Alter von 15 oder 16 Jahren. Die Tochter Clara heiratete den Kaufmann Schulz, die Tochter Ina den Lehrer und Kantor Karl Struck, die Tochter Liesbeth den Bahnbeamten Böhm. Albert Friedrich Gustav Fischer verstarb am 14.7.1893 in Neukalen.

 

Briefkopf des Kaufmanns Fischer, um 1900

 

Briefkopf des Kaufmanns Fischer, um 1900

 

 

   Albert Franz Johann Fischer, geb. am 17.3.1869, wurde wie sein Vater Kaufmann. Er war ein großer, schlanker, ruhiger Mann, der sich im Neukalener Turnverein betätigte. In seiner Jugend hatte er zusätzliche Privatstunden bei dem Sohn des in der Stadtgeschichte von Neukalen erwähnten Senators Stüdemann, „Onkel Franz“ Stüdemann, einem Kandidaten der Theologie, der nie das Abschlussexamen gemacht hat.
   Albert Franz Johann Fischer heiratete 1895 Anna Schwark, deren Vater „Holländer“, das heißt Molkereipächter oder –besitzer in Schorrentin war. Es war eine glückliche, leider kurze Ehe. Aus dieser Ehe stammen fünf Söhne: Johannes, Albert, Hartwig, Ulrich und Ernst Fischer.
   1901 herrschte in Neukalen eine Typhusepidemie. Im Alter von 32 Jahren starb Albert Franz Johann Fischer am 11.9.1901 und am gleichen Tag der jüngste Sohn Ernst Fischer zwei Tage nach seiner Geburt. Anna Fischer war damals 28 Jahre alt und hatte vier kleine Kinder.

   Anna Fischer führte mit Hilfe von Geschäftsführern das Geschäft bis 1904 fort. Sie erhielt große Unterstützung von ihren Eltern, den Eheleuten Schwark, die als Rentner in Neukalen wohnten. 1904 heiratete Anna Fischer den aus Neukalen stammenden Kaufmann August Jakob Friedrich Stüdemann (geb. 1.6.1876, gest. 10.10.1948), der als Reisender viel kaufmännische Erfahrung hatte. Diese Ehe blieb kinderlos.

 

Anna und August Stüdemann

 

Anna und August Stüdemann

 

 

Das Geschäft von A. G. Fischer am Markt 5, um 1908

 

Das Geschäft von A. G. Fischer am Markt 5, um 1908

 

 

Ansichtskarte Töpferstraße, um 1910, rechts das Geschäft von A. G. Fischer

 

Ansichtskarte "Töpferstraße", um 1910,
rechts das Geschäft von A. G. Fischer

 

 

   Das alte Fischer-Haus am Markt 3) war für die große Familie mit den Verwandten der älteren Generation eng geworden. Der Tagesablauf war genau geregelt. Für die Kinder gab es um 6 Uhr Abendbrot. Abends – so schreibt mein Vater – erzählten die Tanten Ina Struck und Clara Schulz Geschichten, unter anderem von einem Vorfahren, der 1812 vor der Einziehung durch die Franzosen in die Wiesen am Kummerower See flüchtete und dort von seiner Schwester versorgt wurde, bis die Franzosen abgezogen waren. Geschichten vom Boxeraufstand in China erzählte auch der alten Neukalenern noch bekannte Friedrich Becker, der Kaufmannslehrling in der Firma A. G. Fischer war.

 

   3) Das Grundstück Ecke Markt / Töpferstraße hatte der Schmied Johann Salchow 1832 für 1000 Reichstaler vom Fischer Behrendt gekauft. Sein Schwiegersohn Albert Gustav Fischer richtete hier 1859 sein Kaufmannsgeschäft ein und ließ das Haus um 1880 zu seinem jetzigen Aussehen ausbauen.

 

Das Geschäft des Kaufmanns Ulrich Fischer auf einer Ansichtskarte um 1937 (rechtes Gebäude)

 

Das Geschäft des Kaufmanns Ulrich Fischer
auf einer Ansichtskarte um 1937 (rechtes Gebäude)

 

 

   Johannes, Albert und Hartwig Fischer erhielten vom 4. Schuljahr an Privatunterricht durch den bereits erwähnten Onkel Franz, um die Aufnahmeprüfung für die 2. oder 3. Klasse des Realgymnasiums in Malchin zu bestehen. Die Söhne waren in der Woche in Malchin in Pension. Mein Vater Hartwig Fischer, der mit 12 Jahren auf das Realgymnasium kam, teilte sein Zimmer mit Johannes, der Bruder Albert wohnte zusammen mit dem Sohn der Pensionswirtin. Alle 2 – 3 Wochen fuhren die Kinder mit der Bahn nach Hause. Sonst gingen sie am Wochenende zu Fuß von Malchin nach Neukalen.

   1912 kaufte August Stüdemann das Grundstück in Neukalen Ecke Markt / Mühlenstraße. Er war ein weit blickender Kaufmann, der sich verantwortungsvoll um die vier Söhne kümmerte. - Er berichtete mir einmal, als er noch junger Reisender gewesen sei, habe er sich mit einem Berufskollegen von einer Zigeunerin die Zukunft weissagen lassen. Sie habe ihm erklärt, er werde einmal eine Witwe mit vier Kindern heiraten. Das habe er für absurd gehalten.

 

1912 kaufte August Stüdemann das Grundstück Markt 2 vom Sattler Krüger

 

1912 kaufte August Stüdemann das Grundstück Markt 2
vom Sattler Krüger

 

 

   Mein Vater erzählte, er habe als Junge zum Schützenfest von seiner Großmutter Salchow 5 Pfennig geschenkt bekommen und die Großmutter habe ihm gesagt, er solle nicht alles auf einmal ausgeben.
   Mein Vater schreibt: „Große Festtage im alten Neukalen waren der Königsschuß (das Schützenfest) und der Herbstmarkt. Nach alter Tradition nach dem Dreißigjährigen Krieg wurde alljährlich im Juli das Schützenfest gefeiert. Es dauerte drei Tage, offiziell Donnerstag und Freitag für die Neukalener Bevölkerung und am Sonntag mit der ganzen Stadt- und Landbevölkerung zusammen auf dem Festplatz im Gartsbruch. Auch ich habe mich wie meine Vorfahren mit meinen Brüdern seit 1920 als Mitglied der Zunft an dem Volksfest beteiligt. Viele alte Neukalener kamen zu diesem Fest ...“


   Am 1. August 1914 brach der 1. Weltkrieg aus. Hierzu lese ich aus den Aufzeichnungen meines Vaters: „Der älteste Angestellte und Großvater Stüdemann wurden als gediente Soldaten gleich in den ersten Tagen eingezogen. Meine Mutter führte das Geschäft mit Johannes, Albert und einem Angestellten und später mit Ulrich und mir allein weiter. 1915 starb Bruder Albert nach längerer Krankheit. 1916 wurden der letzte Angestellte und Bruder Johannes eingezogen. 1917 wurde ich Soldat, während Vater Stüdemann, da nur garnisonverwendungsfähig, frei kam. Auch Bruder Ulrich wurde noch 1918 eingezogen. Ich war in Russland und Frankreich. Hier erlitt ich eine Gasvergiftung.“


   Mein Vater erblindete an dem giftigen Gelbkreuz vorübergehend und lag zuerst in Saarbrücken, zuletzt in Lübeck bis März 1919 im Lazarett. Alle drei Brüder kamen aus dem 1. Weltkrieg zurück.

 

Hartwig Fischer als Musketier im I. Weltkrieg

 

Hartwig Fischer als Musketier im I. Weltkrieg

 

 

   Johannes Albert Ferdinand Fischer (geb. 1.8.1896, gest. 1.5.1966) erhielt – inzwischen volljährig – das Geschäft A. G. Fischer und führte es fort. August Stüdemann betrieb im Haus Am Markt 2 eine Filiale der Mecklenburgischen Hypothekenbank. Daneben half er im Geschäft von Johannes Fischer.
   Johannes Fischer heiratete Hella Hering aus Salem. Ihr Vater war Erbpächter und Bauer. Aus dieser Ehe stammte mein Vetter Albert Fischer.

 

Kaufmann Johannes Fischer mit seiner Frau Hella, um 1935

 

Kaufmann Johannes Fischer
mit seiner Frau Hella, um 1935

 

 

Erbpächter Hermann Hering in Salem (Vater von Hella Fischer)

 

Erbpächter Hermann Hering in Salem
(Vater von Hella Fischer)

 

 

   Johannes Fischer vergrößerte das Geschäft nicht mehr, obwohl er – nach dem Urteil meines Vaters – ein geschickter Einkäufer war. Er fühlte sich als Kaufmann nicht glücklich und hätte wegen seiner geistigen Interessen lieber Geschichte studiert. Nach 1945 führte er das Geschäft nur zeitweise fort und gab es dann auf 4).

 

   4) Das Geschäft am Markt 2 gehörte ab 1952 der staatlichen Handelsorganisation HO.

 

   Sein einziger Sohn Albert Fischer studierte nach seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft in Hamburg Französisch und Englisch. Er war mit seinem Studium erfolgreich und erhielt ein Stipendium an der französischen Universität Grenoble. Albert wurde Oberstudienrat und unterrichtete an einem Hamburger Gymnasium. Er starb im Alter von 61 Jahren. Seine Ehe blieb kinderlos. Seine beiden Eltern waren bereits vorher verstorben.

 

   Ulrich Leonhard Otto Hermann Fischer (geb. 15.6.1900, gest. 1973) wurde nach der Rückkehr aus dem 1. Weltkrieg ebenfalls Kaufmann. Er betrieb ein Kolonialwarengeschäft in dem Haus Am Markt / Ecke Lutherstraße. Während des 2. Weltkriegs wurde er eingezogen und war Wachmann bei den Kriegsgefangenen in Neukalen. Nach 1945 wurde er zusammen mit meinem Vater abgeholt und – ohne Gerichtsverfahren – in das KZ Neubrandenburg und später in das KZ Buchenwald gebracht. Sein Geschäft konnte er später nicht weiterführen. Er wohnte zunächst noch bei meinen Eltern und starb später im Altersheim in Ivenack. Er hinterließ keine Nachkommen.

   Mein Vater Hartwig Erich Hermann Fischer (geb. 5.3.1899, gest. 28.1.1989) lernte nach seiner Gesundung von der Gasvergiftung Kaufmann. Er war zunächst Volontär bei einem weitläufig Verwandten, dem Kaufmann Stüdemann in Plau, der dort ein Getreidegeschäft betrieb. Mit 21 Jahren machte er sich in Neukalen selbständig mit dem Handel mit Kohlen, Heu, Stroh und Getreide. Zusammen mit dem Kaufmann Lückstädt gründete er in der Bahnhofstraße 3 die Firma Fischer & Co 5). Nach kurzer Zeit trat Herr Lückstädt aus der Firma aus. Mein Vater war Alleininhaber und nahm auch den Handel mit Kohlen und Düngemitteln auf. Dafür gab er Kartoffeln, Heu und Stroh auf.
   Er heiratete Lisbeth Clasen, die Tochter des Ackerbürgers Gustav Clasen und seiner Frau Ida Clasen geb. Gamm. Alle stammten aus alten Neukalener Familien. Lisbeth Clasen hatte eine Ausbildung zur Volksschullehrerin und war zeitweise in Ivenack bei der Familie von Maltzahn als Hauslehrerin angestellt. Aus der Ehe stammten mein jüngerer Bruder Hartwig und ich.

 

   5). Etwa 1920 erwarb Albert Fischer für seinen Sohn Hartwig das Haus Bahnhofstraße 3, welches vorher einem Herrn Freitag und davor dem Kalkbrenner Johann Stüwe gehörte.

 

Annonce in der Heimatzeitung von 1926 (1)

 

 

Annonce in der Heimatzeitung von 1926 (2)


Annoncen in der Heimatzeitung von 1926

 


   Vater war stolz darauf, Kaufmann zu sein. Mit der selbstlosen Hilfe meines Großvaters Clasen, der Getreide und Kohlen fuhr, gelang es ihm, in der wirtschaftlich sehr schwierigen Zeit nach dem 1. Weltkrieg die Firma Fischer & Co. zu einem angesehenen Unternehmen zu machen. Meine Mutter arbeitete im Geschäft mit. Im Haushalt halfen ihr Lisbeth Ulrich und später deren Schwester Erna Ulrich. Damals wurde in der Waschküche die Wäsche gewaschen und gekocht. Das in dem Speicher hinter dem Haus gelagerte Getreide musste umgeschaufelt werden, damit es sich nicht entzündete. Meine Eltern waren beide auch hier tätig. Später wurde Paul Koch als Hofmeister für Getreide, Kohlen und Düngemittel zuständig. Sein Sohn war in meiner Klasse in der Neukalener Volksschule der beste Schüler. Er starb leider an einer Blutvergiftung im Alter von neun Jahren.

 

   In meiner Kindheit spielte ich viel mit Fritz Ulrich, Franz Schmidt, Fred Mieckley, Werner Schmidt, Fritz Zingelmann, Günter Stöcker und vielen anderen. In unserem Garten hinter dem Speicher wurde ein Zelt aufgeschlagen. Es ließ sich dort herrlich toben.
   Sehr schön war es bei den Großeltern Clasen. Beide bleiben mir unvergesslich. Sie hatten ein Herz für Kinder. Wenn wir zu ihnen in die Chausseestraße, jetzt Straße der Freundschaft, kamen, mussten wir immer zuerst ein Zuckerei, ein Mettwurst- oder Schinkenbrot essen. In der Scheune spielten wir Greifen und bewegten uns auf dem „halben Stein“ an den Wänden, um in das Stroh oder Heu zu springen. Mein Bruder und ich fuhren mit dem Großvater aufs Feld und halfen bei der Getreide- und Kartoffelernte.
   Großvater Clasen war ein starker Mann, der wunderbare Geschichten von früher, auch von seiner Soldatenzeit bei den Schweriner Grenadieren, erzählen konnte und die „Grüne Kompanie“ als Hauptmann beim Schützenfest befehligte. Er war sehr arbeitsam, dabei voller Humor. Wir Kinder fühlten uns bei unseren Großeltern immer gut aufgehoben. Als ich sechs Jahre alt war, schlich ich mich frühmorgens aus dem elterlichen Haus, um mit dem Großvater aufs Feld zu fahren und auf „Lotte“ zu reiten. Bei der abendlichen Heimkehr – ich hatte ein schlechtes Gewissen – schimpfte mein Vater mich aus: „Du heißt jetzt nicht mehr Jochen Fischer, sondern Jochen Clasen!“
   Den Großeltern Clasen und den Eltern verdanken wir Kinder die positive Einstellung zum Leben. Sie vermittelten uns die Achtung vor dem Anderen, der es vielleicht nicht so gut getroffen hatte. Ich habe niemals das Gefühl von Klassenunterschieden in Neukalen gehabt. Eine schönere und innerlich reichere Kindheit hätte ich niemals haben können.

 

Haus des Ackerbürgers Gustav Clasen, Chausseestraße 35 (rechts) auf einer Ansichtskarte um 1916

 

Haus des Ackerbürgers Gustav Clasen, Chausseestraße 35 (rechts) auf einer Ansichtskarte um 1916

 

Haus des Ackerbürgers Clasen in der Chausseestraße Nr. 35, um 1920

 

Haus des Ackerbürgers Clasen
in der Chausseestraße Nr. 35, um 1920

 


   1936, mein Bruder Hartwig war gerade 7 Jahre und ich 10 Jahre geworden, starb meine Mutter. Dies war für unsere Familie ein großer Verlust. Wir haben unsere Mutter sehr geliebt.

   Mein Vater heiratete zwei Jahre später Elsbeth Thürkow, verwitwete Rohde, Tochter des Domänenpächters Thürkow aus Dargun. Aus diese Ehe stammt mein Bruder Helmuth. Meine zweite Mutter hatte ein bewegtes Leben hinter sich. Ihr Verlobter war im 1. Weltkrieg gefallen und ihr erster Ehemann nach einer längeren Krankheit verstorben. Sie hatte sich dann in Rostock zur Krankenschwester ausbilden lassen und war in der Krankenpflege tätig. Sie war geprägt durch ihr Christentum und hat sich für ihre Jungens aufgeopfert. Mein Bruder Hartwig und ich hätten keine bessere neue Mutter bekommen können.
   Im Geschäft half nach dem Tod meiner Mutter Wally Schubert aus Neukalen. Sie hatte bei meinem Vater gelernt und war zuletzt Prokuristin: intelligent, charmant und geschäftstüchtig.

   1939 brach der 2. Weltkrieg aus. Mein Vater wurde am Schluss des Krieges mit anderen Neukalenern zum Volkssturm eingezogen, kam in russische Gefangenschaft nach Graudenz, das er als junger Soldat vom 1. Weltkrieg kannte, wurde entlassen und wurde zusammen mit meinem bereits erwähnten Onkel Ulrich Fischer, seinem besten Freund, dem Lehrer Robert Schmidt, und 16 anderen Neukalener Bürgern, unter anderem August Burmeister und Fritz Thürkow, ins KZ Neubrandenburg und später nach Buchenwald gebracht. Manche starben. Mein Vater und Onkel Ulrich hatten das Glück, nach fünf Jahren 1950 entlassen zu werden.
   Das Geschäft hatten bis dahin Wally Schubert und mein Bruder Hartwig, der ebenfalls Kaufmann gelernt hatte, weitergeführt. Mein Vater verpachtete es nach seiner Rückkehr an die BHG in Neukalen. Er selbst arbeitete als Angestellter zunächst in Dargun, später in Malchin und zuletzt bis zum Rentenalter bei der Firma Oevermann in Neukalen. Inhaberin der Firma Oevermann war seine Klassenkameradin Ilse Oevermann geb. Stein.

   Mein Bruder Hartwig Fischer ging nach der Rückkehr meines Vaters nach Hamburg zur Firma Alfred C. Toepfer, einem der großen Im- und Exportunternehmen. Er war, wie mein Vater, mit Leib und Seele Kaufmann.
   Einige Jahre lang arbeitete er in der Filiale der Firma Toepfer in London und hatte als Prokurist zeitweise in Sumatra zu tun. Zuletzt war er Geschäftsführer der Firma Hansa Melasse GmbH. Auf seiner Hochzeit meinte sein Chef, Herr Toepfer, über ihn: „Er ist ein richtiger Mecklenburger. Die Mecklenburger haben einen Büffel im Wappen. Er ist ein sehr guter Kaufmann.“
   1979, im Alter von 50 Jahren, starb mein Bruder Hartwig an einem Gehirnschlag. Für die Familie war es furchtbar. Die Kinder hatten noch keine abgeschlossene Ausbildung. Meine zweite Mutter, die einige Monate vorher einen Schlaganfall erlitten hatte, der sie sehr beeinträchtigte, fing plötzlich an zu sprechen und war ganz verzweifelt. Mein Vater litt besonders unter dem Tod seines Sohnes, denn er war auf Hartwigs Werdegang besonders stolz. Für ihn gab es nichts Größeres als ein erfolgreichen Hamburger Kaufmann zu sein.
   Einige Monate später starb meine zweite Mutter. Mein Vater war nun allein. Er hatte jedoch viele geistige Interessen. Ihn interessierte die Geschichte Neukalens und die Geschichte der Familie. Besonders freute er sich, dass der älteste Sohn meines Bruders, Martin, in die Fußstapfen seines Vaters trat und eine kaufmännische Lehre bei der Firma Toepfer machte. Martin Fischer wurde ebenfalls ein sehr erfolgreicher Kaufmann, hatte schließlich die Stelle seines Vaters bei der Firma Hansa Melasse inne und ist heute wieder zur Firma Toepfer zurückgekehrt. Von allen lebenden Kindern und Enkeln ist bisher kein anderer als Kaufmann tätig. Es scheint, als wenn Martin Fischer der letzte Kaufmann der Familie Fischer bleibt.

   Mein Bruder Helmuth Fischer war in der früheren DDR geblieben. Er wurde Ingenieur, wohnt in Dresden und ist heute in Rente.
   Ich selbst habe nach dem 2. Weltkrieg bei der Firma Oldörp & Jürgens in Lübeck Kaufmann gelernt, danach aber Jura in Göttingen studiert. In Göttingen bin ich heute als Anwalt in einer Sozietät tätig, zusammen mit einer Anwältin und Notarin und einem Juniorpartner. Das Notariat habe ich von Gesetzes wegen aus Altersgründen aufgeben müssen. 35 Jahre lang habe ich zunächst privat und später an der Georg-August-Universität in Göttingen Wiederholungskurse für Jurastudenten gegeben und wurde zum Honorarprofessor ernannt.

   Nahezu in jedem Jahr fahren meine Frau und ich nach Neukalen und treffen uns mit alten Freunden. Es ist immer wieder schön, in der Heimat zu sein. Mit dem Rest meiner alten „Sexta 36“ des Realgymnasiums Malchin treffe ich mich ebenfalls einmal im Jahr. Viele früheren Freunde, darunter mein Freund Paul Harder, sind aus dem 2. Weltkrieg nicht zurückgekehrt, manche inzwischen verstorben.

   Nun zum Schluss. Alle Ahnen, die Eltern und auch wir Brüder wuchsen in Neukalen auf in einer Gemeinschaft, die gab, was für das weitere Leben jedes einzelnen entscheidend war: Wärme, Vertrauen, seelische Stabilität, Humor, Kenntnis des Mitmenschen, Freundschaft – Grundlagen dafür, auch in der Fremde bestehen zu können. Alle erlebten auf engstem Raum, was Fleiß und Bürgersinn bedeuten.
   Dafür sei an dieser Stelle meiner Heimatstadt Neukalen herzlich gedankt. Zu danken habe ich auch Herrn Schimmel und allen Mitarbeitern der Jahreshefte des Neukalener Heimatvereins dafür, dass sie mit ihren hervorragenden Beiträgen alles tun, um die Erinnerung an Neukalen und unsere Heimat zu bewahren. Mögen sich künftige Generationen daran ein Beispiel nehmen.

 

 

Briefkopf Johannes Fischer um 1930

 

Briefkopf Johannes Fischer um 1930

 

 

Auf einer Geschäftspostkarte

 

Auf einer Geschäftspostkarte

 

 

Johannes, Albert, Hartwig und Ulrich Fischer

 

Johannes, Albert, Hartwig und Ulrich Fischer

 

 

Kaufmann August Stüdemann verband eine enge Freundschaft mit dem Malermeister Rudolf Grass (Mitte oben), geb. am 4.6.1874 in Neukalen

 

Kaufmann August Stüdemann verband eine enge Freundschaft
mit dem Malermeister Rudolf Grass (Mitte oben),
geb. am 4.6.1874 in Neukalen

 

 

Kirchenausweis Hella Hering

 

Kirchenausweis Hella Hering

 

 

Schützenfest 1927, Abholung Hartwig Fischer, in der Bahnhofstraße

 

Schützenfest 1927,
Abholung Hartwig Fischer, in der Bahnhofstraße

 

 

Abholung des Fähnrichs Hartwig Fischer 1927, Bahnhofstraße 3

 

Abholung des Fähnrichs Hartwig Fischer 1927,
Bahnhofstraße 3

 

 

Abholung des Fähnrichs Hartwig Fischer durch die Schützenzunft, 1927 (1)

 

Abholung des Fähnrichs Hartwig Fischer, 1927

 

 

Abholung des Fähnrichs Hartwig Fischer durch die Schützenzunft, 1927 (2)

 

Abholung des Fähnrichs Hartwig Fischer, 1927

 

 

Grabstein Johannes Fischer

 

Grabstein Johannes Fischer

 

 

Schaufenster des HO Kaufhauses Markt 2, 1963 (1)

 

Schaufenster des HO Kaufhauses Markt 2, 1963 (2)

 

Schaufenster des HO Kaufhauses Markt 2, 1963

 

 

Speicher und Haus am Markt 2, 1975

 

Speicher und Haus am Markt 2, 1975

 

 

Schuhgeschäft im Haus Markt 2 - 1984

 

Schuhgeschäft im Haus am Markt 2 - 1984

 

 

Hartwig Fischer senior

 

Hartwig Fischer senior

 

 

Hartwig Fischer junior

 

Hartwig Fischer junior

 

 

Haus Bahnhofstraße 3, 1989

 

Haus Bahnhofstraße 3, 1989

 

 

Haus Markt 2, 1993

 

Haus Markt 2, 1993

 

 

In der Lutherstraße, 1996

 

In der Lutherstraße, 1996

 

 

Das Haus Markt 2 nach der Sanierung (Aufnahme 1996)

 

Das Haus Markt 2 nach der Sanierung (Aufnahme 1996)

 

 

 

Haus Bahnhofstraße 3, 2003

 

Haus Bahnhofstraße 3 , 2003

 

 

Das Haus Markt 5 gehörte früher dem Kaufmann Ulrich Fischer, heutiger Eigentümer ist Dr. med. Wolfgang Tietz

 

Das Haus Markt 5 gehörte früher dem Kaufmann Ulrich Fischer, heutiger Eigentümer ist Dr. med. Wolfgang Tietz (Aufnahme 2003)

 

 

Grabstelle Hartwig Fischer auf dem Neukalener Friedhof - 2004

 

Grabstelle Hartwig Fischer auf dem Neukalener Friedhof - 2004