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“Blauer Montag”


Carl Voß (1878 – 1958)

 

 

   Herzog Christian Ludewig erließ am 24.12.1755 eine Verordnung, in welcher er sich gegen die vielfältig eingerissenen Mißbräuche bei den Handwerkern wandte. Er meinte damit besonders den sogenannten „Blauen Montag“, an welchem nicht gearbeitet wurde. Auch das Degentragen bei den Handwerksburschen sollte abgeschafft werden. Carl Voß schrieb vor über fünfzig Jahren eine kleine Abhandlung über den „Blauen Montag“. Darin schildert er sehr anschaulich das Treiben der Handwerksburschen in damaliger Zeit. Der Originalität halber erfolgt hier die getreue Wiedergabe seiner Abhandlung:


   "Man soll die Feste feiern wie sie fallen. So dachten auch die 34 Schustergesellen der guten Stadt Nienkalden. In damaliger Zeit hatten alle Handwerksgesellen das Privileg, alle Quartal einen blauen Montag zu halten, und dieser Tag mußte zünftig gefeiert werden. In früheren Zeiten wurden von allen Gesellen des Schuster,- Schneider-, Bäcker-, Schlachter-, Maurer- und Zimmereramts die blauen Montage gemeinsam gefeiert. Solches hatte jedoch soviel Lärm in der Stadt gegeben, daß ein wohlweiser Rat sich in dieser Sache veranlaßt gesehen hat, hiergegen ganz energisch einzuschreiten und somit eine bestimmte Ordnung in diese Feiern zu bringen.
   Heutzutage existiert nur noch der Name. Die blauen Montage mit ihren fröhlichen, feiernden jungen und alten Gesellen sind vorbei.
   Am kommenden Montag sollte nun der blaue Montag der ehrbaren Schusterhandwerksgesellen gefeiert werden. Schon am Sonnabend war der Ladenschlüssel von einer Werkstatt in die andere getragen worden, mit dem jubelnd aufgenommenen Gebot des Altgesellen, daß am Montag Krugtag sein sollte.
   Nun war der lustige Tag da! Während die Gesellen schon am frühen Morgen in größeren und kleineren Trupps, Arm in Arm, durch die Straßen der Stadt, auf dem Wall und vor den Toren müßig und vergnügt, singend und schäkernd, umherschlenderten, wurden in der Herberge am Tore die nötigen Vorbereitungen für die Bruderzeche getroffen. Jakob Kirchhoff, der Herbergsvater, schob mit Unterstützung der Herbergsmutter die Tische zusammen, so daß sie zwei lange Tafeln, das sogenannte Gelage, bildeten. Ein langes Brett auf leere Bierfässer gelegt, bildete beiderseits des Tisches die Sitzgelegenheit. Alsdann wurden die Holz- und Zinnkrüge bereitgestellt. Im Nebengemach wurden zwei Tonnen vom besten Vierpfennigbier aufgelegt, und nun konnten die Gesellen kommen. Und sie kamen alle, nahezu an dreißig junge fröhliche Gesellen. Es sollte bei dieser Gelegenheit ein fremder Schustergeselle eingeehrt werden, d. h. in die Gesellenbruderschaft aufgenommen werden. Der fremde Geselle wurde von Alt- und Junggesellen feierlich abgeholt und zur Herberge am Tore geleitet, allwo ihn die Versammelten mit lautem Hallo begrüßten. Auch der Herbergsvater sowie die Mutter wurden von allen Gesellen herzlichst begrüßt. Die Gesellen drängten und schoben sich durcheinander, erzählten haarsträubende Sachen von ihren Meistern und Meisterinnen und rühmten sich ihrer Unentbehrlichkeit im Hause des Meisters. Nach und nach gelang es den Schaffern, sie alle glücklich zum Sitzen zu bringen. Oben, quer vor dem Gelage, nahm der Altgeselle Conradt Lübke Platz. Rechts und links von ihm saßen die beiden Bierschaffer, welche Aufsicht zu führen hatten, daß alles in rechter Ordnung herging und auch bei Verstößen die Strafgelder einziehen mußten. Neben dem Bierschaffer rechts saß als einzuführender fremder Geselle Hyronimus Regendans. Zwei Schusterlehrlinge hatten die besondere Ehre, als Schenkjungen aufzuwarten und den Gesellen das Bier zutragen zu dürfen. Hierbei wurden sie unterstützt vom jüngsten Gesellen der Bruderschaft.
   Jetzt klopfte der Altgeselle mit einem Holzhammer auf den Tisch, und alle erhoben sich. Der Altgeselle sprach ein kurzes Gebet und öffnete dann die vor ihm stehende Lade, in welcher sich die Siegel und Briefe der Gesellenbruderschaft befanden. Alle setzten sich jetzt wieder. Er selbst aber blieb stehen, stellte den Daumen seiner geschlossenen rechten Hand steif auf den Tisch und sprach: "Seid willkommen, liebe Brüder und Gelaggesellen! Ist einer unter Euch, der auf den Altgesellen, den Bierschaffern oder den Junggesellen etwas zu sagen hat, der rede jetzt und schweige nachher, auf daß wir unser Bruderbier in Frieden trinken mögen. Es soll ein jeglicher den anderen bei seinem richtigen Namen nennen, kein Messer ziehen, nicht weinen, nicht lachen, nicht schlafen oder was sonsten ungebührliche Sachen mehr sind, so lieb als ihm ein ganzes Pfund Pfennig sind. Und nun, liebe Brüder, steigt in Eure Taschen und zieht die Beutel!"
Die Gesellen antworteten:

                    "Steig ich tief hinein,
                    steig ich tief heraus;
                    hab' ich viel darin,
                    bring ich viel heraus."

   Damit griff jeder in seinen Beutel und legte sein Biergeld vor sich auf den Tisch, welches sofort von den Bierschaffern eingesammelt wurde. Hierauf sprach der Altgeselle: "Schaffers, seid so gut und steckt die Tonne an!" Nachdem solches geschehen, brachten beide Schenkjungen jedem Gesellen einen Krug Bier, wobei der Herbergsvater fleißig mithalf.
   So mochte etwa eine halbe Stunde unter fleißigem Zutrinken und dem Singen froher Lieder vergangen sein, dann begann das umständliche, feierliche Trinken aus dem Ehrenbecher der Bruderschaft. Auf einen Wink des Altgesellen brachte der Jungschaffer den großen zinnernen Willkommhumpen und stellte denselben gefüllt vor den Altgesellen hin. Derselbe klopfte dreimal mit dem Hammer auf und alsbald trat Ruhe ein. Conradt Lübke sprach jetzt: "Mit Gunst, liebe Brüder, daß ich diesen ehrbaren Willkomm entblößen mag." Die Gesellen antworteten: "Mit Gunst!"
   Nach diesen Worten hob der Altgeselle den Deckel von dem Humpen und tat einen langen Zug. Hierauf machte der Humpen von Mann zu Mann die Runde. Während des Umtrunks wurde das Blaumontagslied gesungen:

Gestern ist Sonntag gewesen und heut
hat es blau Montag geschlagen.
Vesperglocke, du liebes Geläut,
weckst mich schon frühe beim Tagen.
Eile mit Weile! Heißt es im Haus,
Hammer und Feile ruhen sich aus.
Nichts ist zu schaffen, zu sorgen,
Feierabend schon ist es am Morgen.

Sind wir doch heute die Herren einmal,
legen nicht Hand an's Geräte.
Heut ist zum Sitzen der Schemel zu schmal,
platzen und reißen die Nähte.
Wo sich's auf Gassen dränget und schiebt,
tun wir und lassen, was uns beliebt
trutzig im Schalten und Walten
blauen Montag zu halten.

Werkstatt ist leer und Herberg ist voll.
Wenn nur der Wochenlohn reichet.
Ach, und am Kerbholz, zehn Strich auf den Zoll,
wenn's der Herr Vater nicht streichet.
Durst in der Kehle, immer gewetzt,
und von der Seele alles versetzt.
Was mir am Leibe gehangen,
ist in die Schenke gegangen.

Her mit dem Faß und hin mit dem Krug,
morgen kommt wieder die Plage.
Es ist doch alles nur Lug und Trug,
das mit dem siebenten Tage.
Einen Tag schaffen, sechse dann ruhn;
vieles erraffen, mehr noch vertun.
Und wenn die Blauen drin fehlen,
könnt ihr die Wochen mir stehlen.

   Dann brachte der Jungschaffer einen gefüllten Becher, das große Glück genannt. Stehend nahm ihn der Altgeselle in Empfang, stehend trank er ihn bis zur Hälfte aus und sagte alsdann: "Mit Gunst Gesellen!"
   "Das große Glück hat mich getroffen; ich bin verhofft, der eine oder der andere Gutgeselle wird mir Bescheid tun. Hilf Gott, wen das Glück trifft."
   Nach diesen Worten schüttelte er drei Würfel auf den Tisch. Soviel Augen sie zählten, soviel Gesellen wurden nach rechts abgezählt, um denjenigen zu bezeichnen, der den nächsten Trunk aus dem Ehrenbecher tun durfte; so ging der Umtrunk noch eine Weile fort.
   Bis jetzt hatte die Bruderschaft auf ihren einzuehrenden Schenkgesellen noch keine besondere Rücksicht genommen. Mit dem nächsten Becher aber sollte der fremde Geselle Hyronimus Regendans nun wirklich eingeehrt werden. Der Jungschaffer stellte den gefüllten großen Willkomm vor den Altgesellen hin. Dieser klopfte mit dem Hammer auf den Tisch, worauf sich alle erhoben.
   Conradt Lübke sprach: "Mit Gunst, liebe Brüder und Gelaggesellen. Es ist ein fremder zugewanderter Schustergeselle gekommen, der Aufnahme in unsere ehrbare Brüderschaft begehrt. Er hat das Handwerk bewiesen, ist echt, recht und ehrlich geboren und hat uns von ehrbaren Meistern und vom ganzen Handwerk viele freundliche Grüße bestellt. Ist nun einer oder der andere unter Euch, der etwas auf ihn zu sagen hat, der rede jetzt und schweige nachher."
   Nach einer kleinen Weile fuhr er fort: "Ihr schweigt," und zum fremden Gesellen gewendet: "Grüß Dich Gott, Schuster!"
   "Dank Dir Gott," entgegnete der Fremde.
   Altschaffer: "Sage mir Schuster, wie tust Du Dich nennen, wenn Du hier vor offener Lade stehst und ehrliche Schustergesellen um den Tisch herum sitzen?"
   "Ich tue mich nennen Hyronimus Regendans, das ehrliche Blut, dem Essenund Trinken schmeckt und auch wohltut."
   "Hyronimus Regendans ist ein feiner Name. Sag Schuster, wo hast Du ihn errungen?"
   "Ich mußte rennen und laufen, um ein frei Wochenlohn zu kaufen. Das Wochenlohn wollte nicht recken, ich mußte meiner Mutter Pfennige zustecken."
   "In welcher Stadt hast Du ihn bekommen?"
   "In der guten Stadt Leipzig hab' ich ihn bekommen."
   Hierauf der Altgesell: "Hyronimus Regendans aus Leipzig. Wir wollen Dich und Deinen ehrlichen Namen hier behalten. Ich werde Dich einschreiben, und es soll Dir widerfahren, was mir und andern Gutgesellen auch widerfahren ist. Lege Deine rechte Hand in meine rechte Hand und antworte mir, wie ich Dich frage:
   Zum Ersten: Versprichst und gelobst Du, Dich treu und ehrlich zu halten, nach der Meister Eid, nach der Brüder Willen, wie es einem ehrlichen Gesellen ziemt?"
   Hyronimus antwortete: "Ja!"
   "Zum Zweiten: Versprichst Du, Handwerksbrauch und -gewohnheit zu halten, als Du es am besten kennst?"
   Hyronimus antwortete: "Zum Zweiten, Ja!"
   "Zum Dritten: Versprichst Du alles zu tun oder zu lassen, was Dir und anderen ehrlichen Gesellen hier geboten oder verboten ist?"
   Hyronimus: "Zum Dritten, Ja!"
   Altgeselle: "So nehme ich Dich auf, Bruder Hyronimus Regendans, in unsere ehrbare Bruderschaft. Sei willkommen wegen des Handwerks. Zum Ersten, Zweiten und Dritten."
   Hyronimus: "Ich bedanke mich, Bruder Altschaffer und liebe Gesellen."

   Sodann setzten sich alle, außer Hyronimus und dem Altgesellen, und letzterer sprach: "Mit Verlaub, liebe Brüder und Gelaggesellen, daß ich diesen ehrbaren Willkomm entblößen mag?"
   Die Gesellen antworteten: "Allen Verlaub."
   Damit hob der Altgeselle den Deckel von dem großen Humpen, tat einen langen Trunk, bedeckte ihn wieder und reichte ihn Hyronimus mit den Worten: "Diesen ehrlichen Willkomm bringe ich Dir zum vollen, zu kraft der ganzen hier versammelten Bruderschaft. Du sollst ihn in drei schmalen Zügen austrinken, mit bedeckter Schulter, mit unbedecktem Haupt, mit stillstehendem Fuß, ohne Rucken, ohne Zucken, ohne Bartwischen. Wohl bekomm's."
   Die Gesellen sprachen: "Wohl bekomm's."
   Hyronimus Regendans nahm den Humpen und trank ihn in drei Absätzen leer. Dann wurde er wieder gefüllt und wanderte nun im ganzen Kreise herum, bis jeder daraus getrunken hatte soviel er wollte. Aber es durfte sich keiner lange dabei aufhalten, und jeder mußte ihn mit der rechten Hand nehmen und geben und ihn dem Nachbarn mit aufgesetztem Deckel sowie mit den Worten: "Wohl bekomm's" weiterreichen. Dabei wurde folgendes Lied gesungen:

Es macht ein Krug von Hand zu Hand
am Tisch herum die runde Reise.
Du Bruder aus dem fremden Land,
dir gilt die frohe Weise.
Ein Schlücklein dir, ein Schlücklein mir,
das soll uns beiden frommen.
Nun bist du hier, nun bleibst du hier.
Herr Bruder, Gott willkommen!

Wer in der Herberg eingekehrt,
laß auf der Bank sich nieder.
Und wer das Handwerk grüßt und ehrt,
den ehrt und grüßt es wieder.
Du kommst von Heim, von Hag und Heg
fürbaß daher geritten;
bist überall, auf Weg und Steg,
gar wohl bei uns gelitten.

Glück in die Werkstatt! Tag für Tag,
wo du dein Brot gefunden.
Für jeden harten Hammerschlag
drei lustig frohe Stunden!
Mag dir der Meister günstig sein,
die Meisterin gewogen.
Es kommen schöne Jungfräulein
dir allwegs zugeflogen.

Zum Wohle dir, mein Schenkgesell,
daß dir's hierorts behage.
Es geht das große Trinkgestell
für dich um das Gelage.
Bald ist es voll, bald ist es leer.
Und wer's zur Hand genommen,
wünscht dir viel Glück, viel Gunst, viel Ehr'.
Herr Bruder, Gott willkommen!

   Nachdem der fremde Geselle eingeehrt war, wurde lustig weitergetrunken unter Scherz und Gesang von Schelmenliedern. Längst war die zweite Tonne angestochen, die Ungebundenheit stieg von Stunde zu Stunde. Immer lauter und lustiger wurde es in der Herberge am Tore. So laut und lustig, wie ein halbes Schock Schustergesellen nur sein können, die in guter Eintracht, bei gutem Bier beisammen sind und dabei keine anderen Sorgen haben, von dem Getränk soviel abzukriegen wie sie dessen nur habhaft werden können.

   Noch hörten die Gesellen auf den Altschaffer, der noch ziemlich klar im Kopfe war und es jetzt an der Zeit fand, die Bruderzeche auszubieten. Er klopfte solange mit dem Hammer auf, bis Ruhe ward und sprach sodann:
   "Liebe Brüder und Gelaggesellen!
   Weil nunmehr die Zeit verflossen ist und wir unser Bruderbier in Eintracht genossen haben, so wollen wir für dieses Mal einen frischen - fröhlichen Feierabend machen. Ich danke Euch, liebe Gesellen, daß Ihr fromme und bescheidene Brüder gewesen seid, und ich hoffe, daß Ihr es in den nächsten drei Wochen auch bleiben werdet. So schließe ich denn unsere Gesellenlade, und wie ich das Schloß schließe, so soll auch jeder seinen Mund schließen."
   Er schlug den Ladendeckel klappend zu und schloß ab.
   "Wer genug hat, der geht jetzt nach Hause und vergesse seinen ehrlichen Namen nicht. Wer weiter trinken will, der lasse weiter klingen, mein Pfennig ist mein Gesell."

   Sie tranken also weiter und bewegten sich außer Rand und Band, bunt durcheinander, bis die Feierabendglocke läutete und der Herbergsvater mit allem Nachdruck Feierabend gebot.


   Doch nicht immer verlief ein "Blauer Montag" friedvoll und ohne Blutvergießen. Oftmals kam es in den Straßen der Stadt zu schweren Schägereien. Infolgedessen wurden 1755 die blauen Montage abgeschafft.
   Ein Nachbleibsel der ehemaligen blauen Montage waren die folgenden Quartalsfeiern. Dieselben wurden noch bis um 1880 im Herbst, als auch im Frühjahr abgehalten."

 

Carl Voß

 

Carl Voß

 

 

   Carl Voß wurde am 2.4.1878 geboren. Von Beruf war er Seifensieder. Als sogenannter „Seifenfabrikant“ stellte er nach alten Rezepten und Verfahren Seife für den täglichen Gebrauch her, bis er etwa 1935 in den Ruhestand trat. Mit großem Eifer widmete er sich nun der Neukalener Vergangenheit. In den Akten des Stadtarchivs entdeckte er so manches aufschlußreiche Schriftstück und verwendete den Inhalt für seine Geschichten aus alter Zeit. Er veröffentlichte bis zu seinem Tod am 14.12.1958 viele Zeitungsartikel in der „Freien Erde“. Carl Voß wohnte in der Wallstraße Nr. 63. Seine Frau, Alma, geb. Langpap (geboren am 26.8.1887) starb 1961. Ihre einzige Tochter, Gertrud Voß, starb 1913 bald nach der Geburt.