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Geschichten, die das Leben schrieb!

 

Annelie Hesse, geb. Scherer

 

 

Hopp über!

 

Im armen Mecklenburg, in Schorrentin um etwa 1840, trug sich folgendes zu:

Morgens kurz vor 8.00 Uhr liefen die schulpflichtigen Kinder des Dorfes in ihren Holzpantinen zur Schule. Es war wie üblich eine Einklassenschule, in welcher Kinder unterschiedlichen Alters zusammen in einem Raum lernten. Jeder Schüler hatte seinen Platz, die Schiefertafel, Griffel, Schwamm und was sonst noch so für den Unterricht gebraucht wurde. Der Lehrer, der ein sehr bescheidenes Gehalt bezog, bekam Schulgeld. Häufig zahlten die Eltern in Naturalien, die berühmten „´n Appel und ´n Ei“. All das reichte nicht hin und nicht her, um den Lehrer und seine Familie zu ernähren. Daher gab es damals bereits am Schulhaus, in dem der Lehrer wohnte, einen Schulgarten. Was man aus der eigenen Landwirtschaft bzw. aus der des Gutsherrn nicht kannte, konnte man hier dazulernen. Der Garten und die Erträge gehörten dem Lehrer! Indem die Kinder den Garten bestellten, sicherten sie dem Lehrer einen Teil seiner Nahrungsmittel. Nur musste der gute Mann zur Erntezeit schon aufpassen, denn manche Äpfel, Pflaumen und Birnen sowie Schoten und Wurzeln fanden sich in den Taschen der kleinen Räuber wieder, die sich auf diese Art ihren Anteil holten. Ein weiterer Nebenerwerb für den Lehrer war die Schneiderei. Auf dem Tisch im Klassenzimmer, im Schneidersitz, Nadel und Faden sowie den Stoff zwischen den geschickten Fingern, saß das Lehrerlein und unterrichtete, während es schneiderte. Es war so organisiert, dass die älteren Schüler den jüngeren halfen und dem Lehrer Zeit blieb, der Schneiderei nachzugehen. Während einer Unterrichtsstunde schrieben die einen Schüler, die nächste Klassenstufe rechnete, wieder eine andere Klassenstufe zeichnete, noch eine andere lernte ein Gedicht. Alles fand in einem Raum statt.

Wenn es ans Lesen ging, war es besonders kurios. Die Schüler lasen laut vor. Auf einmal tauchte ein unbekanntes Wort auf. Die jüngeren Schüler sahen zu den älteren. Achselzucken. Gespannt blickten sie zum Lehrer. Der war gerade sehr in seine Schneiderarbeit vertieft. Als er schließlich mitbekam, dass die Kinder auf Hilfe warteten, sah er sich den Text und das Wort an, schaute etwas ungläubig und beendete die Spannung mit den Worten: „Hopp über!“, was soviel hieß, wie: „Lass aus, lies weiter!“. Das passierte immer, wenn man nicht wusste, wie etwas ausgesprochen wurde. Aber, man wusste sich zu helfen!

 

 

Lehrjahre - doch Herrenjahre?

 

Noch als Rentner leuchteten Walter Scherers Augen, wenn er von seinen Lehrjahren erzählte und sich an diese Zeit erinnerte.

Willi Schröder und Walter waren die kleinsten ihrer Klasse. Und ausgerechnet die beiden nahmen die Lehre als Schmied auf. Ohne Podest ging da nichts. Sie waren eben recht klein für dies Handwerk. Dennoch packten sie es.

Wie es damals üblich war, ging man nach einiger Zeit auf Wanderschaft, um von anderen Meistern etwas zu lernen. Neben Schmiedearbeiten fielen immer auch weitere handwerkliche Tätigkeiten an.

Seine Schritte führten Walter auch nach Dobbertin. Hier befand sich ein Kloster für die zweit- und drittgeborenen Töchter der besseren Gesellschaft, die keinen Mann abbekommen hatten, aber eine entsprechende Mitgift, um sich hier einzukaufen. Ihre Zofen hatten sie auch dabei. Das Kloster wurde pünktlich abends um 18.00 Uhr abgeschlossen. Wer sich dann noch in den Mauern befand, musste die Nacht im Kloster verbringen.

Es gab immer etwas zu reparieren. An Arbeit mangelte es nicht. Während sein Meister pünktlich die Klosteranlage verließ und nach Hause eilte, war Walter ab und an „so in seine Arbeit vertieft“, dass er gar nicht auf die Zeit achtete. Nun musste er sich in dem Gemäuer ein Nachtlager suchen. Traurig war er darüber gar nicht. Er wurde gerne von den Damen aufgenommen und verwöhnt ...

Sein Meister aber hatte volles Verständnis, hatte er doch auch einen Teil seiner Lehrjahre unter gleich angenehmen Bedingungen wie Walter, in Dobbertin und im Kloster verbracht So waren für Walter die Lehrjahre doch irgendwie Herrenjahre!

Und seine Augen leuchteten bei der Erinnerung an diese Zeit, auch noch nach 30 bzw. 40 Jahren, wenn er seiner Enkelin von seinen Wanderjahren erzählte. Den wirklichen Grund verstand sie allerdings erst, als sie selbst erwachsen war.

 

 

Lausbubenstreiche im alten Mecklenburg

 

Walter ließ nichts anbrennen. Überall war er dabei, wenn es galt Streiche auszuhecken. Er war eben ein richtiger Mecklenburger Junge! Wer immer Streiche auf Lager hatte, war bei den anderen Jungen gut angesehen, denn dann war ja immer was los im Dorf.

Pastors Ältester war Walters bester Freund. Mit dem konnte man so recht was anfangen. Welcher Junge wollte nicht schon zu den Erwachsenen zählen, wenn er’s auch noch nicht war.

Wenn einer rauchte, tja, dann war er natürlich schon Erwachsen ...

Also musste man an Rauchwaren kommen, um zu beweisen, was für ein Kerl man doch schon war.

Walter wuchs bei seinen Großeltern auf und Geld war dort stets Mangelware. Und auch der Großvater bekam Rauchware nur zu besonderen Anlassen. Doch Johannes, Pastors Sohn, kam an Zigarren heran, denn sein Vater hatte stets eine Kiste im Schrank. Das wäre es doch! Wenn man 2 oder 3 mopste, wem sollte das schon auffallen? Gesagt, getan. Im Pfarrhaus herrschte eine ziemliche Geschäftigkeit, als sich die beiden Lausbuben unbemerkt in die gute Stube stahlen. Johannes wusste wo Vater den Gegenstand ihrer Begierde aufbewahrte und 1 fix 3 nahmen sie sich jeder 2. Schließlich sollte es sich ja lohnen!

Glücklich schlichen sich die beiden mit ihrer Beute wieder aus dem Haus. Wo aber konnten sie die Dinger ungestört wie richtige Männer rauchen? Johannes hatte wieder die beste Idee: In der Kirche! Also ging er nochmals ins Pfarrhaus, nahm sich ungesehen den Schlüssel vom Brett und schon war er damit verschwunden. Nun suchten sich die beiden Experten erst einmal ein gemütliches Plätzchen in der Dorfkirche. Sie bissen ein Stückchen vom Glimmstengel ab. So taten es richtige Männer, warum auch immer? Dann zündeten sie sich ihre Zigarren an. Sie gestikulierten, wie sie es bei den Männern gesehen hatten. „Kräftig ziehen musst Du! Dann rauchst Du richtig,“ sagte Johannes. „Weiß ich doch!“

Beide versanken total in den Genuss der 1. Zigarre. Aber, es schmeckte gar nicht mal so gut, der Rauch reizte die Lunge und die Augen - und überhaupt wurde ihnen recht seltsam. Doch noch ehe sie sich versahen, stand der Pastor in der Kirchentür. Ach her je! Er hatte noch etwas vergessen und vergebens den Kirchenschlüssel gesucht. Daher wollte er sehen, ob er noch in der Tür steckte. Tatsächlich, da steckte er und die Tür stand offen. Und ein sehr bekannter Duft von seinen Lieblingszigarren hing in der Luft. Was ging hier vor sich?

Das Überraschungsmoment ausnutzend, packte er die beiden Jungen und zerrte sie ins Freie. Sie sahen total gelb im Gesicht aus und hielten sich die Bäuche. Was sollte man mit ihnen machen? Während er noch überlegte, rissen sich die zwei los und verschwanden hinter dem nächsten Busch. Eigentlich waren sie genug gestraft. Und wie war das doch bei ihm in jungen Jahren gewesen ...

Mit: „Wir sprechen uns noch!“ wurden die Lausbuben erst einmal entlassen „Du, Walter, wenn Du willst, gib deinem Großvater die anderen zwei Zigarren. Ich rühr’ die Dinger nicht mehr an. Mir ist so schlecht.“ So taten sie es dann auch.

 

War zunächst erst einmal Ruhe mit Streichen, waren sie sich bald beide wieder einig, dass man mal wieder etwas unternehmen müsste.

Was würde wohl passieren, wenn man die Bretter bei den Karpfenteichen rausziehen würde? Das galt es zu testen! Die Bretter waren mit einigem Kraftaufwand bald entfernt. Das Wasser lief herrlich ab und die Karpfen wurden mehr und mehr sichtbar, schlugen mit ihren Flossen und schnappten nach Luft. Das war ja zu komisch! Eben in diesem Moment kam der Besitzer der Teiche um die Ecke. Er sah die Jungen nicht, nur die Bescherung und schrie nach seiner Frau! Mit Eimern und Wanne „bewaffnet”, eilte sie mit Helfern herbei. Sie hatten voll zu tun, die Fische aus dem Schlamm zu bergen und ins Wasser zu bringen, bevor der Schaden zu groß wurde.

Walter und Johannes hatten die Tragweite ihres Streiches nicht bedacht und sich lieber aus dem Staub gemacht. Der Schaden, den sie angerichtet hatten, war wohl doch etwas groß. „Wenn ich den erwische, der mir das angetan hat!” schrie Hein Peters. Aber er hat es nie rausbekommen.

 

 

Kurz und schmerzlos

 

Nur eine kurze Zeit war Walter Mitglied der KPD. Als 1924/25 auch jene in die KPD eintraten, die nur Raufereien im Kopf hatten, die glaubten, sich so richtig unter dem Deckmantel des Klassenkampfes austoben zu können, war für ihn die Zeit gekommen, sich von der Partei zu verabschieden. Er ging zu seinem Schulfreund Willi Schröder (damals Vorsitzender der KPD in Rostock) und teilte diesem seinen Entschluss mit.

Er sah seinen Schulfreund an und meinte: „Wat hür ik, Walting, du wist uns nu ok verlaten?“ Walter nannte ihm seine Beweggründe. „Wenn du dat meinst, möst du dat daun. Schad is man, de Randalierer sünd nich die Partei.“

So trennten sich ihre Wege ganz unbürokratisch, aber Zeit seines Lebens schlug sein Herz links und bewahrte er sich seinen Arbeiterinstinkt.

 

 

 

Annelie Hesse, geb. Scherer wohnt in 18106 Rostock, W. Barentsstraße 20. Sie schrieb diese Erzählungen ihres Großvaters Walter Scherer auf.

Walter Wilhelm Friedrich Scherer wurde am 5.12.1895 in Schorrentin geboren. Seine Mutter war das Dienstmädchen Wilhelmine Ernestine Marie Friederike Scherer (geb. 26.1.1872 in Schorrentin), der Name des Vaters ist nicht bekannt.