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Mit dem Segelboot gestrandet

 

Dr. Helge Nagel

 

Wie das Leben so spielt. Nach der missglückten "Hochseefahrt" mit meinem grünen Schlauchboot auf dem Greifswalder Bodden hätte ich nicht mal im Traum daran gedacht, dass ich schon drei Jahre später an der Pinne meines ersten Seglers sitzen würde.

Zugegeben, imposant sah sie gerade nicht aus. Diese kleine, nicht selbstlenzende Jolle mit nur 4,50 m Länge und einer Breite von 1,60 m. Es war auch kein Rennboot. Dennoch lief es ganz flott gegen den Wind, was man von meinem besegelten Schlauchboot nicht behaupten konnte.

Die heimische Talsperre wurde schnell zu klein. Ein großes Gewässer musste her, mit Wellen, die der Wind anschiebt und nicht ein vorübertuckerndes Fahrgastschiff. Kaum vier Jahre nach dem Fiasko auf dem Greifswalder Bodden hatte mich also die Seefahrerromantik wieder fest im Griff.

Ein Segelurlaub am Parsteiner See, 1981, war dazu der erste Versuch. Dieser gestaltete sich auch schon recht interessant. Mit einer Beinahekenterung im Gewitter und dem Verlust des Ankers, der aber dank des herrlich klaren Wassers wieder geborgen werden konnte. Meine Frau wurde zum ersten Mal "seekrank". Trotz allem war uns der "Tümpel" zu klein. So lautete das Ergebnis der Urlaubsauswertung.

Für 1982 sollte es nun etwas Richtiges werden. Bei der Suche nach einem geeigneten Gewässer, nunmehr in der Mecklenburgischen Seenplatte, tippte ich mit dem Finger auf den Kummerower See. Die Müritz erschien uns für den zweiten Versuch noch zu groß. Welche Bedeutung dieser See für unser späteres Leben haben sollte, konnten wir damals allerdings nicht ahnen.

Der Sommer kam und damit unser heißersehnter Segelurlaub. Nach stundenlanger Fahrt, mit Bootsanhänger waren damals nur 80 km/h erlaubt, entschieden wir uns in Güstrow die Autobahn zu verlassen. Über Teterow und Malchin führte die Landstraße dann nach Kummerow. Die Ortsnamen waren, bis auf Kummerow, alle fremd und ungewohnt. An der Straße zwischen Remplin und Malchin hatte man junge Pappeln gepflanzt. Rund 25 Jahre haben wir sie wachsen sehen. Heute sind sie bereits wieder abgeholzt.

Auf der Höhe von Leuschentin erblickten wir zum ersten Mal den See. "Ist der aber klein", sagte ich enttäuscht zu meiner Frau. Wir sahen nur den Zipfel zwischen Salem und Kummerow. Die tatsächliche Ausdehnung sollten wir noch zu spüren bekommen.

Auf dem Zeltplatz C 6 in Kummerow, den es schon lange nicht mehr gibt, richteten wir uns häuslich ein. Die Begeisterung war groß, als wir von dort über den See blickten. Das Zelt war klein, sehr klein. Damit man auch bei Regen vor dem winzigen Bergzelt sitzen konnte, spannten wir eine Plane darüber, die den Eingang ausreichend weit überragte. Das war nicht nur gemütlich, sondern sah auch schon ganz nach einer kleinen Expedition aus.

Leider konnten wir uns nicht lange daran erfreuen. Die Plane wurde schon bald vom Wind weggerissen. Überhaupt hatten wir in unserem ersten Mecklenburgurlaub ständig mit dem Wind zu kämpfen. Das war eine vollkommen neue Erfahrung; in Sachsen spielte er nicht diese Rolle.

Auch unsere Segelfreuden wurden vom Wind stark beeinflusst. Ganze Tage dominierten die Schaumkronen auf dem See, und wir flüchteten mit dem Schlauchboot in geschützte Schilfecken zum Angeln. Über einige Fahrten in die Neukalener Bucht oder zur großen Weide, Höhe Salem, waren wir noch nicht hinausgekommen.

Wann es genau war kann ich nicht sagen, da meine Logbuchaufzeichnungen erst 1983 beginnen. Auf jeden Fall sollte es endlich eine Tagesfahrt werden. Nachdem ausreichend Proviant, ein kleiner Benzinkocher, Sitzkissen und zur Erhöhung der Gemütlichkeit eine Luftmatratze im Boot verstaut waren, schipperten wir los.

Selbst an jenem Vormittag wehte immer noch ein kräftiger Wind der Stärke 5 – 6 aus Südwest. Vorsichtshalber setzten wir nur die Fock. Heute würde ich bei diesem Wind mit so einem kenterbaren Winzling gar nicht mehr rausfahren. Am Himmel jagten wilde Wolken, mitunter kam auch die Sonne zum Vorschein.

Zunächst verlief die Reise wie geplant. Bis zur großen Weide hatte der Seegang bereits stark zugenommen. Das Boot schaukelte bei 50 Zentimeter Wellenhöhe schon recht beeindruckend. Ich war zufrieden mit mir und der Welt. So hatte ich mir das vorgestellt.

Gegen Mittag  frischte der Wind weiter auf, fachmännisch gab ich das Kommando: “Fock einholen! Wir lassen das Boot vorm Wind ablaufen und retten uns in die Bucht vom Naturschutzgebiet.” Meine Frau war sofort einverstanden, versprach doch die Bucht das Ende der Schaukelei.

Das Boot machte auch ohne Segel noch gut Fahrt. Die Ansteuerungstonnen von Neukalen zogen vorbei. Nach 500 Metern nahm ich direkten Kurs auf das Naturschutzgebiet. Es zeichnete sich ab, dass unser Tagesausflug schon hier zu Ende sein würde.

Doch es kam anders. Plötzlich hatte wir massive Grundberührung. Das Schwert wurde zur Hälfte hochgedrückt, unser Segler legte sich auf die Seite und drehte quer zu den Wellen. Hektik brach aus. Hier wird es ganz flach, in das Naturschutzgebiet kann man gar nicht hineinfahren, stellten wir mit Entsetzen fest.

Heute weiß ich, dass sich dort lediglich eine vorgelagerte Sandbank befindet. Aber damals gab es weder Echolote für kleine Boote, noch kannte ich den See.

Mit halbgezogenem Schwert versuchten wir ins tiefe Wasser zu gelangen. Das funktionierte auch ganz gut und mit voll ausgefahrenem Schwert konnte ich das Boot wieder bis zu 20 o in den Wind steuern. Vielleicht findet sich woanders ein ruhiges Plätzchen.

Ich glaubte schon die Situation gemeistert zu haben, als meine Frau mir zurief: “Eine Reuse!”. Ein überdimensionales Leitnetz von circa 300 Metern Länge vesperrte den Weg. Uns standen die Haare zu Berge. Wenn wir da hineinfahren, sind uns die Schadenersatzforderungen der Fischereigenossenschaft sicher.

Mit den 20 o Steuerbarkeit war da nichts mehr zu machen. Die Reuse kam näher und näher. Ein Motor wäre das Richtige gewesen, aber den hatten wir ebenfalls nicht.

Was tut der Mensch nicht alles in der Not. Trotz des Wellengangs rutschte meine Frau auf die Bootsspitze, löste die Fock und zog sie hoch. Erst als sie wieder in der sicheren Plicht angekommen war, drehte ich das Boot weiter in den Wind. In ausreichender Entfernung blieb die Reuse Backbord hinter uns. Ein Aufatmen ging durch die “Mannschaft”.

Lange währte die Erleichterung aber nicht. Auf dem gesamten Nordwestufer reihten sich Reuse an Reuse. Nirgends war eine kleine Bucht zu entdecken. Unsere Stimmung sank wieder auf den Nullpunkt.

Nach kurzer Beratung und weil das Boot mit der Fock gut steuerbar war, entschieden wir uns zur anderen Seite des Sees zu fahren. Dort ist es auch nicht so flach, und wir können besser anlanden.

Das hätten wir besser nicht tun sollen. Jeder, der den See kennt, weiß was sich bei Südwest der Stärke 6 – 7 in der Mitte vor Gravelotte an Seegang so aufbaut.

Anfänglich hatte ich alles fest im Griff. Je weiter wir uns allerdings der Mitte des Sees näherten, desto größer wurden die Wellen. Es entstanden lange Fronten mit 30 Zentimeter hohen Schaumkronen, die mit zunehmender Wellenlänge immer schneller von hinten anrollten.

Langsam wurde uns die Sache unheimlich. Bis zu einer Wellenhöhe von einem Meter trug ich das Ganze noch mit Fassung.

In der Mitte des Sees war es dann auch mit meiner Ruhe vorbei. Vom Grund ungebremst, dort ist es um die 14 Meter tief, bauten sich zuweilen Wellen von über 1,50 Meter auf. Sekundenlang standen wir entweder mit Bug oder Heck steil nach oben bis so ein extra großer Roller unter dem Boot hindurchgewandert war.

Die Wellenhöhe an sich hätte ich ja zur Not noch verkraftet. Aber immer dann, wenn wir mit der Spitze  zum Wellental standen, begann das Boot mit Hilfe des Windes auf dieser schiefen Ebene zu gleiten. In gischtender Fahrt schossen wir, ähnlich der Surfer vor Hawaii, kurzzeitig auf der Welle mit. In dieser Phase war das Boot kaum noch steuerbar und es bestand jedes Mal die Gefahr des Querschlagens.

Spätestens in diesen Momenten breitete sich auch in mir das dumpfe Gefühl der Angst aus. Meine Frau hatte sich zwischen Schwertkasten und Bordwand verkeilt. Ich saß mit versteinerter Miene an der Pinne. Ein richtiger Käpten lässt sich doch nichts anmerken. Schließlich darf an Bord keine Panik ausbrechen.

Immer dann, wenn es der Seegang erlaubte, steuerte ich das Boot Richtung Südostufer. Auf diese Weise überquerten wir allmählich die Mitte des Sees und die Wellen wurden wieder kleiner.

Die Hoffnung auf eine ruhige Bucht für die Kaffeestunde hatten wir bis dahin schon aufgegeben. Der Nase nach steuerte ich eine Stelle zwischen Gravelotte und Verchen an. Dort lagen Wind und Wellen voll auf dem Ufer – ankern war nicht möglich. Warum wir nicht nach Aalbude reingefahren sind, ist mir bis heute vollkommen unverständlich. Damals jedenfalls entschlossen wir uns zur Strandung.

Das war aber einfacher beschlossen als durchgeführt. Fürs Erste wurde die Fock eingeholt. Trotzdem lief das Boot noch beängstigend schnell auf das Steilufer zu. Ganz nach dem Motto: Mit ungeheurer Wucht steuert er in eine Bucht. Zu allem Überfluss, soweit kannten wir den See schon, lagen am Ostufer überall große Steine.

Um die Fahrt aus dem Boot zu nehmen, legte ich es quer zum Wind. Das zeigte Wirkung. Im Verhältnis zur Mitte waren nahe dem Ufer die Wellen zwar merklich kleiner, reichten aber immer noch aus, um das Boot in eine wilde Rollbewegung zu versetzen. In der Endphase unserer Strandung wurde es deshalb noch einmal gefährlich.

Metall krachte gegen Steine, geistesgegenwärtig zog meine Frau das Schwert hoch. Die letzte Rolldämpfung ging verloren und wir trieben wieder schneller über Grund. In der Brandungszone, jawohl die gibt es dort bei entsprechendem Wind tatsächlich, hätte es dann auch beinahe geklappt. Ein besonders großer Brecher legte das Boot auf die Seite – wie durch ein Wunder blieb uns die Kenterung erspart.

Bei circa 50 Zentimetern Wassertiefe sprang ich über Bord und stoppte mit aller Kraft den quertreibenden Segler. Behutsam zog ich ihn anschließend auf den Strand. Hier lag er ruhig. Nur kleine Wellen plätscherten noch gegen das Heck.

Was fängt man an, mit einem schmalen Uferstreifen vor einer Steilküste, bei derart starkem auflandigen Wind? Zum Glück fand sich hinter dem Schilf eine kleine Sandfläche. Dort war es ruhig und warm, also doch noch das gemütliche Nest für die geliebte Kaffeestunde.

Nachdem dazu alles Notwendige vom Boot geholt war, badeten wir mit Begeisterung in den hohen Wellen der ostseeartigen Brandung. Noch waren wir davon überzeugt, am Abend wieder nach Kummerow zurücksegeln zu können. Zum Kaffee gab es Weißbrot und Sternchennudeln, die frisch auf dem kleinen Benzinkocher zubereitet wurden.

Die Brandung rauschte, der Wind toste über unseren Köpfen im Schilf und in den Bäumen der Steilküste. Es war richtig romantisch. Weit und breit kein Mensch zu sehen. Wir hatten das Gefühl, in einem fremden Land gestrandet zu sein.

So weit, so gut – nur der Wind wollte und wollte nicht nachlassen. Am späten Nachmittag starteten wir trotzdem einen Versuch, vom Strand loszukommen. Vergeblich! Schon während ich an Bord kletterte, drückte uns der Wind wieder an Land. Erschöpft gab ich nach mehreren Versuchen auf.

Es half alles nichts, ich musste das Boot zur Übernachtung vorbereiten. Ganz so abenteuerlich hatte der Plan für diesen Tag allerdings nicht ausgesehen. Wir zogen die kleine Jolle so weit es ging auf den Strand. Vorsichtshalber verkeilte ich noch den Anker am Ufer, dann wurde die Plane darüber gespannt – fertig war unser Notquartier. Von außen sah es recht nett aus, innen eher spartanisch. Der Tagesausflug hatte nun endgültig Expeditionscharakter angenommen. Die anfangs erwähnte Luftmatratze bekam meine Frau, mir blieben nur die beiden Sitzkissen. Was als Decke diente, weiß ich nicht mehr. Das monotone Rauschen der Brandung ließ uns dennoch ins Reich der Träume hinübergleiten.

Eine Sommernacht ist kurz. Unrasiert und frierend lugte ich am nächsten Morgen unter der Plane hervor. Der Wind hatte nachgelassen, wehte aber immer noch mit Stärke 4 – 5 aus Südwest.

Zum Frühstück gab es die Reste der Expeditionsverpflegung vom Vortag. Anschließend folgte der zweite Versuch, diese urwüchsige Steilküste zu verlassen. Nur mit dem Oberteil meines Schlechtwetteranzuges bekleidet schob ich das Boot in die Wellen – diesmal glückte der Versuch.

Als mir das Wasser bis zum Bauch stand, wälzte ich mich über die Bordwand in die Plicht und griff sofort zu Pinne und Großschot. Mit halbausgefahrenem Schwert preschten wir im flachen Wasser am Ufer entlang, Richtung Verchen. Nur ganz langsam gewannen wir Abstand. Erst als das Schwert vollständig ausgefahren war, konnte ich das Boot gegen den Wind laufen lassen.

In der Mitte des Sees waren die Wellen immer noch beachtlich. Unser Segler wuchtete dagegen an, Spritzwasser fegte übers Deck und in großen Mengen in die Plicht. Meine Frau lenzte kontinuierlich mit dem Schwamm. Ich saß halbnackt an der Pinne und fror durch das Spritzwasser erbärmlich. Eine geschlagene Stunde musste ich so ausharren. Erst auf Höhe zwischen Meesiger und Sommersdorf traute ich mir für kurze Zeit die Pinne loszulassen, um mich anzuziehen.

Wie viele Stunden wir bis zum Zeltplatz noch gebraucht haben, kann ich heute nicht mehr sagen. Eines wurde uns aber damals klar, bei Starkwind ist mit dem Kummerower See nicht zu spaßen.

Dieses Erlebnis hat uns im Umgang mit großen Wasserflächen vorsichtig werden lassen. Die auf Lang-, Mittel- und Kurzwelle ausgestrahlten Seewetterberichte wurden in späteren Jahren und auf allen noch folgenden Booten fester Bestandteil der Tagesplanung.

Die buchtartige Stelle an der Steilküste zwischen Gravelotte und Verchen, an der wir 1982 übernachten mussten, ist, nach unserem ersten Segler benannt, bis heute die Eikplast – Bucht geblieben.

 

Unser kleines Segelboot - Originalaufnahme aus dem Urlaubsfilm von 1982

 

Unser kleines Segelboot - Originalaufnahme aus dem Urlaubsfilm von 1982.

 

Winstärke 6 -7 , im Hintergrund die Berge der Mecklenburger Schweiz

 

Windstärke 6 - 7, im Hintergrund die Berge der Mecklenburger Schweiz. 

 

Der Blick von der Strandungsstelle in Richtung Gravelotte (2020).

 

Der Blick von Strandungsstelle in Richtung Gravelotte (2020).

 

Ein wenig erinnert der Anblick an vergangene Zeiten

 

Ein wenig erinnert der Anblick an vergangene Zeiten.

 

Am Horizont ist der Malchiner Getreidespeicher gerade noch zu erkennen

 

Am Horizont ist der Malchiner Getreidespeicher gerade noch zu erkennen.

 

Nur mit Mühe konnten wir am nächsten Tag von diesem Strandabschnitt in tieferes Wasser gelangen

 

Nur mit Mühe konnten wir am nächsten Tag von diesem Strandabschnitt in tieferes Wasser gelangen.

 

In 38 Jahren ist dieser Uferabschnitt fast vollständig zugewachsen

 

In 38 Jahren ist dieser Uferabschnitt fast vollständig zugewachsen.