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Der “Papst von Rom”

 

Geschichten einer Straße in Neukalen,

1997 aufgeschrieben von Hans Schoknecht

 

   1866 wurde die Chaussee nach Dargun neu angelegt. Das den Verkehr behindernde Mühlentor brach man ab, ebenso die altersschwache Brücke. Es wurde eine neue Brücke mit einem entsprechend breiten Damm angelegt, wobei die westliche Seite als Bauplatz für Wohnhäuser gedacht war. So ab 1867 wurden hier Häuser errichtet. Da man mit der bisherigen durchgehenden Nummerierung der Wohnhäuser nicht durcheinanderkommen wollte, erhielten die neuen Häuser römische Hausnummern, und die Straße hieß "Mühlentor". Die Bewohner nannte man im Volksmund deshalb "Römer". In der Nazizeit war es die "Schlageterstraße", und jetzt ist es die "Darguner Straße". Die sechs Häuser an der westlichen Seite an dieser Straße wurden zwischen 1867 und 1880 erbaut.

   Haus I (heute Dargunerstr. 1) wurde als erstes etwa 1867 vom Sattler J. Hinkfoth errichtet. Es wurde dann um 1890 vom Sattler Richard Albrecht erworben, im Volksmund "Hackepummel" genannt. Das Sattlergeschäft führte der Sohn Otto Albrecht und dann dessen Sohn Ulrich Albrecht bis 1990 weiter. Das Haus war anfangs einstöckig. 1933 wurde das Obergeschoß eingerichtet. Jetzt wohnt die Familie Gurke in dem Haus.

   Haus II (heute Dargunerstr. 3) bewohnte bis zu seinem Tode 1888 der Pastor emerit. Klamroth. Aus seinem Nachlaß erwarb es der Cigarrenmacher Wilhelm Stahl, der das Haus um 1908 an den Friseur August Kähler verkaufte. August Kähler war ab 2. April 1908 bis zum 1.7.1930 als Stadtkassenberechner im Rathaus tätig. Es gab kaum einen Verein in Neukalen, in welchem er nicht maßgeblich mitwirkte. Selbstverständlich war er Mitglied der Schützenzunft; 1900 bis 1921 als Offizier, ab 1921 bis 1939 dann als Ältermann. Er führte ab 1895 sehr gewissenhaft das Protokollbuch der Schützenzunft. Zweimal, 1913 und 1932, konnte er als Schützenkönig gefeiert werden.

   "Dat Schützenfest in Niekalen wier dat schönste Fest un duerte vier Daag. Am Mittwoch bekehm jedes Mitglied vör siener Huusdör ein Ständchen von de Blaskapell. Abends spälte de Blaskapell den groten Zapfenstriek. Dunnersdag wier im Gortbrauck großer Rummel un Königsscheiten. Friedag wier noch Rummel un dei niege König würr bekannt makt un fiert. Sünnabend wier Ruhepause und Sündag künn'n dat letzte Geld utgäben."

 

Der

 

Der "Papst von Rom"
(Schützenkönig August Kähler 1932)

 

 

   In die Freiwillige Feuerwehr war August Kähler am 6.12.1886 eingetreten. Auch hier führte er das Protokollbuch ab 1900. Ebenso war er im 1906 gegründeten "Gemeinnützigen Verein zur Hebung des Fremdenverkehrs" Schriftführer, außerdem noch Mitglied im Gesangverein und im Verein "Kleinkinderschule". Überall war er dabei, seine Meinung war gefragt. Da er in der "Rom" genannten Darguner Straße wohnte, hatte er schnell seinen Ökelnamen weg: Er war für die Neukalener der "Papst von Rom", und jeder wußte, wer gemeint war.

 

August Kähler als Hauptmann der Feuerwehr, etwa 1910

 

August Kähler als Hauptmann der Feuerwehr,
etwa 1910

 

 

   Der Stellmacher Wilhelm Hannemann (geb. 24.10.1873) wohnte in den dreißiger Jahren in der Dargunerstraße 9. Nach dem Tod von August Kähler zog er 1946 in das Haus Dargunerstraße 3. Seine Frau Berta mußte mit einem von ihm konstruierten Büstenhalter mit Drahteinlage herumlaufen. Er wollte immer gerne etwas erfinden. So hatte er einmal einen besonderen Pflug gebaut und wollte diesen offiziell vorführen. Die Gutsbesitzer der Umgebung bekamen eine schriftliche Einladung. Viele Neugierige kamen dann auch, um der Vorführung beizuwohnen. Der Landwirt Hans Schoknecht mußte den Pflug mit seinen beiden Schimmeln vorführen. Er zog mehrere Furchen. Die Pferde hatten mächtig zu ziehen, der Pflug ging sehr schwer. Nach jedem Wenden waren Zuschauer verschwunden, bis niemand mehr da war. Hannemanns "Erfindung" überzeugte nicht.

   Wilhelm Hannemann bastelte auch an einer "ewigen Maschine", die nach seiner Vorstellung einmal eine Dreschmaschine antreiben sollte. Er wollte unbedingt ein Perpetuum mobile bauen, welches mit einem großen Schwungrad und Stahlkugeln ausgestattet war. Ein Versuchsmuster hatte er auf dem Hof gebaut, welches er auch vorführte. Die Besucher waren skeptisch und fragten: "Wie groß das Schwungrad denn wohl für den Antrieb einer Dreschmaschine sein müßte? Sicherlich so groß wie der Kirchturm?" "Ja, so ungefähr."

   In seinem Alter hatte er sich auch einmal mit einem jungen Mädchen im Denkmalspark verabredet. Dabei bezog er aber kräftige Prügel von ihrem Freund. Hannemann mußte zum Arzt. Dr. Rademacher schüttelte den Kopf: "Hannemann, Hannemann, was gehen Dich die jungen Mädchen an!"

   Haus III (heute Dargunerstr. 5) gehörte ursprünglich dem Schlachter Paul Mohrkamp, dann dem Ackerbürger Carl Peters, Schlachter Walter Bruhns, Müller Karl Käding, und jetzt ist es im Besitz von Schlosser Günter Käding.

   Haus IV (heute Dargunerstr. 7) wurde 1879 vom Maurermeister Zastrow erbaut und von diesem an den Ackersmann Heinrich Glasow verkauft; 1913 übernahm sein Sohn Rudolf Glasow (geb. 10.10.1877) die Landwirtschaft. Er lebte mit seiner Schwester Ella zusammen. Nach seinem Tod, 1946, wohnte dort der Ackerbürger Fritz Krüger. Er verstarb 1995. Nun wohnt hier Herr Angres.

   Haus V (heute Dargunerstraße 9) wurde 1880 vom Maurermeister Zastrow erbaut und an den Stuhlmacher Awe verkauft. Hier wohnten später der Rentner Wolff (1894 ... 1900), Arbeiter Joachim Levin ( um 1902), Arbeiter Ludwig Ullerich (etwa ab 1907), die Witwe Bentschneider und ab 1951 Schlachter Otto Lüders. Seit 1996 wohnt hier der Finanzberater Wilfried Kaiser.

   Haus VI (heute Dargunerstr. 11) wurde ebenfalls 1880 vom Maurermeister Zastrow erbaut und an den Rentier August Ewert verkauft. 1892 kaufte der Ackersmann Johann Schoknecht (geb. 12.7.1845 in Glasow) das Haus aus dem Nachlaß des verstorbenen Ewert. Er verstarb am 9.1.1915 während des Gottesdienstes in der Kirche. Der Lehrer Westphal trug ihn nach Hause. Seine Witwe Anna Schoknecht mußte die Wirtschaft alleine weiterführen, denn der Sohn war als Soldat im Krieg. Als der Krieg 1918 aus war, übernahm der Sohn Hans Schoknecht (geb. 17.9.1891, gest. 18.7.1973) den Bauernhof. Er arbeitete von früh bis spät. Sein Ökelname fiel entsprechend aus: "Hanning Dull".

 

Haus Darguner Straße 11, etwa 1924

 

Haus Darguner Straße 11, etwa 1924

 

 

   Und so hatten fast alle ihren Spitznamen. Sie waren nie böse gemeint, sondern neckend mit einem verschmitzten Augenzwinkern. Aber nicht genug damit, es gab auch noch einen kleinen lustigen Vers für die "Römer:

"Hackepummel wahnt an dei Eck,
Kähler mag kein'n Speck,
Peters kann de Schwart' nich bieten,
Glasow sall de Hund wat schiten."

   Man konnte den Spruch aber auch von der anderen Hausecke beginnen lassen, und dann ging er so:

"Hanning Dull wahnt an dei Eck,
Hannemann mag kein'n Speck,
Glasow kann de Schwart' nich bieten,
Peters sall de Hund wat schieten."

 

   Haus VIII (heute Dargunerstraße 15) wurde 1926 erbaut und bezugsfertig. Hier wohnte der Schuhmachermeister August Stein. "Hei stamerte ´n beten" (er stotterte ein bißchen). Er war auch Mitglied der Feuerwehr. Einmal kam man von einem Einsatz zurück und fuhr die Chaussee aus Richtung Malchin nach Neukalen hinunter. Die Feuerwehrleute saßen auf dem offenen Wagen. Als man aus dem Wald in´s Freie kam, blies ein heftiger Wind. August Stein fiel der Hut vom Kopf. Er rief: "Mie - mie - mien Hau - Hau - Haut ... is wech!" Da war man aber schon am Bahnübergang.
Beim Schustern hatte August oft mehrere kleine Nägel zwischen den Lippen. Wenn dann ein Kunde kam und mit ihm sprach, bekam er manchmal das Stottern und verschluckte dabei glatt einige Nägel.